Matthias Volm

11.04.2019
5 min Lesezeit

Zurück in die Zukunft oder mein Rückblick auf die Hannover-Messe

„Industrie 4.0“ und warum Technik das Kernproblem nicht lösen kann. Ein Drama in sechs Akten.

Vorspiel: Zukunftsprojekt Industrie 4.0

Im Rahmen der Entwicklung der Hightech Strategie der Bundesregierung im Jahre 2011 hatten viele Experten unter der Leitung der acatech den Begriff „Industrie 4.0“ geprägt. Es war ein Zukunftsbild in dem sich der klassische Maschinen- und Anlagenbau, das Rückgrat der deutschen Industrie, auf den Weg in eine vernetze und digitale Welt begibt und somit die vierte industrielle Revolution vorantreibt. Die Zukunft der deutschen Industrie war somit sichergestellt.

2012-2013: Wie alles anfing

Wer im Jahre 2012 auf der Hannover Messe und auf der Suche nach dieser „Industrie 4.0“ war, hatte mit dem heutigen Wissen zwei starke Eindrücke:

  • Keiner der Austeller hatte auch nur den Hauch einer Idee, was Industrie 4.0 sein soll und was es für sein Unternehmen bedeutet
  • Die kleinen und großen Softwarehäuser waren damals gar nicht auf der Messe vertreten (es gab noch die CeBit)

In den Messejahren 2012 und 2013 wurden dann sehr zaghaft die ersten Ideen formuliert. Die Werbeslogans wurden immer um die Worte „Industrie 4.0“ oder „Digital“ in jeglicher Ausprägung erweitert. Sehr prägnant war auch die Abbildung von ganz vielen Wolken auf fast jedem Messestand. Wirklich Lösungen wurden in diesen Jahren allerdings nicht gezeigt. Es wurde viel über Cloud und die Datensicherheit diskutiert. Oft mit dem Ergebnis: das ist noch zu unsicher. Im Nachhinein betrachtet wurden in diesen Jahren einfach mal ganz viele Wolken gedruckt, weil das ja alle machten, ohne die Auswirkungen oder die Implikationen verstanden zu haben. Übrigens 2013: die Softwarehersteller waren immer noch nicht auf der Hannover Messe als Aussteller vertreten.

2014-2015: Die ersten Schritte

In den Messejahren 2014 und 2015 konnte man dann so langsam die ersten prototypischen Umsetzungen bestaunen: Dashboards in jeglicher Ausprägung. Neben den ganzen Abbildungen von Wolken und der gleichzeitig getriebenen Diskussion über Sicherheitslücken der Cloud haben die ersten mutigen Unternehmen echte Ergebnisse ihrer Entwicklungsarbeit gezeigt. Einige hatten sich mit einem Softwarehaus verbündet und waren in der Lage Informationen, welche seit Jahrzehnten auf dem Display der jeweiligen Maschinen verfügbar waren jetzt gleichzeitig auf einer Webseite anzuzeigen und diese im Internet zugänglich zu machen – Revolution sag ich da nur. Man bedenke, dass wir zu dieser Zeit schon seit langem Geld über das Internet überweisen konnten und Amazon bereits einen Umsatz von über 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr machte. Leider hatte das Standpersonal auf fast allen Ständen immer noch keinen blassen Schimmer, für was das jetzt gut ist und was man mit den Dashboards macht. Aber es sah eben schön aus und man konnte viele Informationen in Kuchen- und Balkendiagrammen darstellen.
In diesen Jahren wurde das Thema Digitalisierung hauptsächlich von den Entwicklungsabteilungen der Industrie getrieben. In den Managementetagen der wenigsten Industrieunternehmen wurde zu dieser Zeit eine wirkliche Digitalstrategie entwickelt. Allerdings wurde die Hannover Messe für die großen und kleinen Softwareunternehmen immer interessanter und viele sicherten sich einen Stand auf der Messe. Der Knackpunkt war jedoch, dass diese Unternehmen sich bis heute eher schwertun, die Bedürfnisse der Industrie zu verstehen und ihre Kompetenz hiernach auszurichten. Die Kommunikation zwischen reiner Softwarewelt und der klassischen Automatisierungswelt scheiterte meistens schon an der Definition von „Echtzeit“. Mal ganz davon abgesehen, dass man gegenseitiges Verständnis für Prozesse oder Geschäftsmodell aufbringen konnte. Hier gab es also noch viel Grundlagenarbeit zu leisten, damit die zwei Welten miteinander sprechen konnten.

2017-2018: Die zweite Welle

Seit 2017 konnten wir dann als Besucher das IoT, das Internet der Dinge, und den Hype der Plattform-Diskussion beobachten. Meistens wurden die IoT-Plattformen von den Softwareherstellern angeboten und wurden als das Allheilmittel für die Vernetzung verstanden. Technisch ist da auch was Wahres dran, allerdings machten sich sehr wenige Unternehmen den Aufwand die Vernetzung von Maschinen und Anlagen vom Kunden her zu denken. Es wurde immer nur technisch argumentiert und die Diskussion wurde spätestens bei der Frage nach dem wirklichen Kundennutzen und dem Geschäftsmodell beendet. Bis heute gibt es wenige Aussteller, die über den Tellerrand ihrer Maschinen oder Anlage hinausschauen und sich versuchen, in die Position der Kunden zu versetzen. In vielen Produktionshallen arbeiten eben nicht nur Maschinen und Anlagen eines einzigen Herstellers, sondern wir sehen vielmehr eine heterogene Welt aus verschiedenen Herstellern und unterschiedlichen Baujahren.

Im Jahre 2018 wurden, laut mehrerer Veröffentlichungen von unterschiedlichen Unternehmensberatungen, weltweit über 500 IoT-Plattformen angeboten, welche alle technisch mehr oder weniger gut funktionieren. Allerdings hatten es weder die Softwareindustrie noch die Maschinen- und Anlagenbauer geschafft, mit dieser Technologie sinnvolle Geschäftsmodelle für den Kunden zu entwickeln. Wir waren in der Phase, wo alle Beteiligten mit goldenen Hämmern nach irgendwelchen Nägeln suchen. Schleichend kommt hier die Erkenntnis zum Tragen, dass moderne IoT-Plattformen zur Commodity geworden sind und der Erfolg im Bereich Industrie 4.0 nicht durch die Wahl der Technologie entschieden wird. Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit der Kooperation zwischen Kunden, Maschinen- und Anlagenbauern, um die heterogene Realität in den Produktionshallen auch digital abbilden zu können. Der Wert von digitalen Lösungen wird auch mehr in der Kombination von Prozess- und Maschinenbau-KnowHow mit digitaler Technologie liegen, als in der Fragestellung, welche IoT-Plattform denn nun die Richtige ist.

2019: „Größenwahnsinn“

Als ich dieses Jahr die HMI besuchte, bin ich mit der Vorfreude angereist, dass es Lösungen geben wird, mit denen der Kunde schnell und einfach unterschiedliche Maschinen vernetzen kann und auf dieser Basis seine Prozesseffizienz und Qualität erheblich steigern kann.

Allerdings wurde ich eines Besseren belehrt: Anstatt sich auf die wirkliche Kompetenz des Unternehmens zu fokussieren, und digitale Technologie dafür zu nutzen, eine klare Strategie zu entwickeln und Kundennutzen zu schaffen, ist ein neuer Trend entstanden. Viele Maschinen- und Anlagenbauern versuchen nun selbst IoT-Plattformen zu entwickeln und in den Markt zu bringen. Sie scheinen darauf zu hoffen mit dieser Commodity-Lösung die Weltherschafft an sich zu reißen.

Mein Fazit

Wir erzeugen alle gemeinsam neue Silos in der digitalen Welt, obwohl diese eigentlich nach Offenheit und Kooperation schreit. Dieser Silo-Ansatz wird aus vielerlei Gründen nicht funktionieren:

  • Die Technologie der IoT-Plattform löst erstmal kein Kundenproblem, sie erreicht nur Vernetzung und damit nur die Grundlage, um zukünftig Kundennutzen zu erzeugen
  • Wirklicher Kundennutzen liegt in der Kompetenz, die Daten der vernetzten Maschinen mit dem Wissen des Maschinen- und Anlagenbauers zu kombinieren. Daten alleine lösen keine Probleme, der Wettbewerbsvorteil kommt aus dem Algorithmus der kombiniert, und nicht durch den alleinigen Besitz von Daten.
  • Allein durch die Tatsache, dass wir technologsiche Vernetzung schaffen können, wird sich keine Kooperation zwischen mehreren Maschinenbauern und Kunden entwickeln
  • Die Softwarehäuser werden noch weitere Jahre an der Oberfläche zu den Produktionshallen kratzen ohne diese zu verstehen und Lösungen entwickeln zu können. Alternativ wird doch ein Software-Gigant dieses Problem lösen und damit viele Maschinenbauer zu Stahl- und Eisenlieferanten, sogenannten Box-Makern, machen

Neben der Erkenntnis, dass sich die Industrie auf dem Holzweg befindet, macht mich weiterhin das Fehlen von wirklichen Digitalstrategien der Unternehmen nachdenklich. Den allerwenigsten Maschinen- und Anlagenbauern ist klar, was sie mit den ganzen Digitalinitiativen erreichen wollen und wie sich ihr Produktportfolio in den nächsten Jahren um digitale Lösungen erweitern soll. Es wird einfach mal losentwickelt und alle finden es klasse, dass das Unternehmen jetzt auch in digital macht. Grundsätzlich ist es gut, dass wir auch in Deutschland agiler werden, Ideen schnell ausprobieren, die ggfs. Verwerfen und wieder neue Ideen ausprobieren. Allerdings, wenn man keine „Richtung“ vorgibt, dann verfranzt man sich als Unternehmen. Sicherlich braucht es keine finale und detailliert ausgearbeitete Strategie; das wäre in den heutigen Zeiten auch nutzlos. Aber es muss klar sein „wieso es mein Unternehmen gibt und die Frage „was wollen wir für den Kunden für einen Mehrwert leisten?“, Neudeutsch „purpose“ kann klar beantwortet werden.

Ich kann nur darauf pochen die Diskussion vom Kunde her zu denken und dann zu entscheiden was wirklichen Kundenmehrwert schafft und wo zukünftig die Kompetenz und der Wettbewerbsvorteil einzelner Unternehmen liegen soll. Die Softwarehäuser stehen in den Startlöchern und haben passende Technologie, allerdings wird dies nur in einer sinnvollen Zusammenarbeit zu einer Industrie 4.0 führen.

Ich freue mich auf die Hannover Messe 2020…

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